Beabsichtigte SGB II–Rechtsvereinfachung ist in Wirklichkeit eine Kürzungsorgie, ausgerechnet bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung

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Vor wenigen Tagen wurde die Liste der konsentierten Vorschläge veröffentlicht, die unter Anderem zwischen Behörden und Verbänden abgestimmt wurde. Die euphemistisch dem Publikum dargestellten “SGB II – Rechtsvereinfachungen” stellen in Wirklichkeit Nachteile für die Betroffenen, insbesondere Kürzungen von Leistungen dar. Da dem mittellosen Betroffenen inzwischen der Rechtsweg erschwert wurde, setzt das zuständige Bundesarbeitsministerium darauf, dass die Klagen nicht sprunghaft ansteigen. Aber damit ist m.E. nicht zu rechnen, da die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes um ihre Existenz kämpfen müssen und auch die Verantwortung für ihre mit betroffenen Kinder wahrnehmen müssen.

Hierzu einige Beispiele zu den neuen Absichten:

Einmalige Einnahmen

Nach § 11 Abs. 3 SGB II soll der “vorzeitige Verbrauch” einmaliger Einnahmen bestraft werden. Um den “Rechtsweg”, auch bezogen auf die aufwändige Prüfung von Ersatzleistungen nach § 34 SGB II zu vermeiden, wird die darlehensweise Bereitstellung von Leistungen vorgesehen, um den Lebensunterhalt sicherzustellen.

Eigene Beurteilung: Im Zweifel wird den Betroffenen aufgrund gängiger Behörden-Praxis “unwirtschaftliches Verhalten” unterstellt. Mit der Drohung der Prüfung auf “Ersatzleistungen” sollen die Betroffenen dazu gedrängt werden, ein “rückzahlbares” Darlehen nach § 24 SGB II anzunehmen.

Betroffene können solchen Absichten nur begegnen, indem sie die Notwendigkeit der “vorzeitigen Ausgaben” darlegen und Beweise (Belege) sammeln. Beispielsweise wäre der unerwartete Ersatz einer Waschmaschine ein hinreichender Grund für den “vorzeitigen Verbrauch”.

Gesamtangemessenheitsgrenze für die Bedarfe für Unterkunft und Heitzung (Bruttowarmmiete)

Die Verwaltung argumentiert, dass das Auffinden “angemessener” Wohnungen erleichtert werden könnte, weil höhere Aufwendungen für die Unterkunft durch geringere Aufwendungen für die Heizung ausgeglichen werden können und umgekehrt.

Eigene Beurteilung: Bisher müssen die Heizkosten vollumfänglich übernommen werden, sofern beispielsweise  nicht ein unwirtschaftliches Verhalten unterstellt  werden kann. Bekanntlich ist die Wärmedämmung bei Altbauten sehr unterschiedlich. Eine “Pauschalierung” für Unterkunft und Heizung dürfte dazu führen, dass die bedürftigen Mieter aus den Altbauten verdrängt werden und angesichts mangelnder Wohnbauten mit niedriger Kaltmiete sogar eine Verdrängung aus dem Stadtteil oder gar der Stadt stattfinden dürfte.

Es mangelt auch an Regelungen, wenn der Betroffene bei Überschreiten der “Gesamtangemessenheitsgrenze” keine günstigere Wohnung finden kann, auch weil die “Gesamtangemessenheitsgrenze” viel zu knapp bemessen wurde. Wenn es richtig ist, dass der Wohnungsbestand für Sozialwohnungen völlig unzureichend ist, dann werden die Leistungsberechtigten nach SGB II vor unlösbare Probleme gestellt. Es droht sogar je nach Behördenverhalten der Anstieg der Obdachlosigkeit, wenn die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Optionskommunen keinen Weg findet, um die völlig unzureichende Anzahl von Sozialwohnungen bei der Abfassung der Neuregelung zu berücksichtigen.

Tangiert wird auch das Grundrecht auf “freie Ortswahl”, wenn Leistungsberechtigte nach SGB II oder XII in “Billig-Wohngebiete” abgedrängt werden.

Es läuft bei der “Gesamtangemessenheitsgrenze” darauf hinaus, dass die Betroffenen nicht mehr “angemessen” heizen können und die “Beamten” darauf aus sind, dass die Arbeitslosen und Hilfebedürftigen zukünftig im Winter mit Wintermantel und Decken im Wohnzimmer sitzen müssen, weil sie Heizenergie einsparen müssen, um nicht die Wohnung zu verlieren oder die höheren Heizkosten direkt in das “Existenzminimum” für Nahrung, Hygieneartikel und benötigte Medikamente eingreifen.

Es ist kaum vorstellbar, wie sich Kinder fühlen werden, wenn sie in kalten Wohnungen leben müssen. Offenbar ist den “Beamten” und “Politikern” das Wohl der Kinder völlig egal, wenn sie über solche Regelungen befinden. Hier stand wohl die absurde “Schuldenbegrenzungspolitik”, insbesondere der Optionskommunen, Pate, auch weil die Energiekosten angesichts des “Energiewende-Desasters” in den nächsten Jahren weiter drastisch ansteigen werden.

Der Vorschlag der “Gesamtangemessenheitsobergrenze” wird viele Hartz-IV-Empfänger betreffen; sollten die Ideen Gesetzeslage werden, dann werden sich die Sozialgerichte bis hoch zum Bundesverfassungsgericht damit befassen müssen. Nicht wenigen Betroffenen hilft das herzlich wenig, weil die neu gezogenen Grenzen nach kurzer Zeit (6 Monate) wirksam werden und der Instanzenweg mehr als 4 Jahre andauern dürfte.

Genossenschaftsanteile sollen so behandelt werden, wie Mietkautionen (vgl. § 22 Abs. 6 SGB II)

Das SGB II / XII zeichnet sich dadurch aus, dass, je nach finanziellem Vorteil für die Kommune bzw. den Bundeshaushalt, feststehende Rechtsbegriffe anders ausgelegt werden, weil es anscheinend der Sparzwang gebietet.

Bisher wurden nach der Rechtsprechung die “Genossenschaftsanteile”, die bei Wohnungsgenossenschaften erworben werden müssen, als “Beschaffungskosten” der Wohnung judiziert, zumal nicht selten aufgrund der beabsichtigten Absenkung der Miete (w/ Angemessenheit) der Betroffene sich gezwungen sah, eine andere Wohnung zu suchen.

Aber was interessiert den Gesetzgeber der Unterschied zwischen “Mietkaution” und “Genossenschaftsanteil”. Die vom Vermieter üblicherweise abverlangte Mietkaution wurde als Darlehen seitens der Behörde gewährt, so dass die “Tilgung” das an und für sich unabdingbare Existenzminimum eine Reihe von Monaten nicht unerheblich geschmälert wurde. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BVerfG zum “Existenzminimum” eine klar rechtswidrige Vorgehensweise, alleine weil bei der Bemessung des “Existenzminimums” (statistische Erhebung, Warenkörbe) keinerlei Kautionen berücksichtigt wurden.

Jeder Eingriff staatlicherseits in das Existenzminimum ist klar rechtswidrig und ethisch verwerflich!

Das führt zu dem Ergebnis, dass vielmehr die “Mietkautionen” als “Wohnungsbeschaffungskosten” zu subsumieren wären, wie bisher der Erwerb der Genossenschaftsanteile. Das sollte auf jeden Fall dann gelten, wenn die Behörde aufgrund der “Angemessenheitsprüfung” zu dem Ergebnis kommt, dass sich der Betroffene eine neue, preisgünstigere Wohnung suchen soll.

Vorauszahlungen von Leistungen mit Verrechnung im Folgemonat

Bei kurzfristigen finanziellen Engpässen gewährt §24 Abs. 1 SGB II die Möglichkeit der Darlehensgewährung. Weil die Verwaltung von Darlehen anscheinend “aufwändig” ist, soll zukünftig eine “Vorauszahlung” bis zu einer Höhe von 30 % des Regelsatzes gewährt werden, allerdings nicht für Betroffene mit laufenden Sanktionen.

Eigene Beurteilung: Ungeklärt bleibt danach, ob Betroffenen mit laufenden Sanktionen bei einem finanziellen Engpass nach wie vor ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II gewährt werden kann?!

Erfahrungsgemäß fallen Engpässe dann an, wenn unerwartete Ausgaben anfallen und die Behörde sich weigert, den erhöhten Bedarf anzuerkennen.

Beispiel aus der Praxis: Für ein krankes Kleinkind, das nur in der Kinderklinik der Universitätsklinik Essen behandelt werden konnte, weil am Wohnort weder eine Kinderklinik noch die benötigten Fachärzte vorhanden waren, wurden vom Jobcenter die erhöhten Fahrtkosten als zusätzlicher Bedarf mit der absurden Begründung abgelehnt, dass sich ja die Mutter mit dem Kind in das nächste Krankenhaus begeben könne. Sowohl aus medizinischer Sicht als auch aus Sicht der Fürsorgepflicht der Mutter ergab sich die Notwendigkeit, die Kinderklinik in Essen so schnell wie möglich (Taxi) aufzusuchen. Eine andere Möglichkeit war nicht gegeben, auch weil das Krankenhaus in der Nachbarschaft den “Notfalltransport” abgelehnt bzw. unbotmäßig verzögert hätte bzw. mit der Diagnose überfordert gewesen wäre.

Der Mutter wurde dann “unwirtschaftliches Verhalten” vorgeworfen.

Die Neuregelung würde dazu führen, dass der Bedarfsgemeinschaft dringend benötigte Mittel zur Bestreitung des Existenzminimums entzogen werden. Vonnöten wäre vielmehr eine Sammlung der in der Praxis vorkommenden “unerwarteten Ausgaben”, denen sich die Betroffenen nicht entziehen können, wie zuvor als Beispiel geschildert.

Aber dazu fehlt es offenbar an Herz und Sachverstand.

Sanktionen

Künftig soll das “Sonderrecht” (verschärfte Sanktionsvorschriften) für Jugendliche und Erwachsene unter 25 Jahren entfallen. Für jede Pflichtverletzung soll zukünftig ein einheitlicher Betrag in Abzug gebracht werden.

Eigene Beurteilung: Sanktionen erstrecken sich bisher auch auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Je nach “Fehlverhalten”, beispielsweise wiederholte Ablehnung eines aus Sicht des Betroffenen menschenunwürdigen 1-Euro-Jobs, kann die behördliche Sanktionspraxis zur Obdachlosigkeit führen, auch weil Eilverfahren und Klagen vor den Sozialgerichten die Sanktionen bis zur Abfassung eines Urteils nicht unterbrechen.

Entweder stellt sich der Betroffene der “Versklavung” und wartet das Urteil ab, oder es droht Obdachlosigkeit bei Fortsetzung der Weigerung.

Angesichts der Tatsache, dass Sanktionen, sofern sie gerichtlich geprüft werden, zu mehr als 50 % aufgehoben werden, will die Politik dennoch grundsätzlich die menschenunwürdige Sanktionspraxis aufrechterhalten, auch wenn sich die Sanktionen zukünftig nicht mehr auf die Bedarfe für Wohnung und Heizung erstrecken sollen.

Die ausgeübte Sanktionspolitik soll die Arbeitslosen in dauerhaft prekäre Arbeitsverhältnisse zwingen und halten, auch weil normal bezahlte Beschäftigungsverhältnisse seit mehr als 15 Jahren Mangelware sind. Die Einführung der Hartz-IV-Gesetzgebung hatte geradezu das Ziel, etwa 20 % bis 30 % der Arbeitnehmer in prekäre Arbeitsverhältnisse abzudrängen.

Daran ändert auch die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro/Stunde nichts.

Die bevorstehenden Sitzungen in den Gremien des Bundestages werden noch weitere Überraschungen ans Tagelicht bringen. Aufmerksamkeit und kritische Begleitung ist geboten.

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4 Antworten to “Beabsichtigte SGB II–Rechtsvereinfachung ist in Wirklichkeit eine Kürzungsorgie, ausgerechnet bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung”

  1. Karl Says:

    Also so dramatisch wie Sie es schildern, sehe ich das nicht. z.B. einmalige Einnahmen. Das sind Einnahmen, die mit den Leistungen verrechnet werden. Ich als Selbständiger erhalte noch teilweise Unterstützung und es ist völlig normal, dass ich eine Prognose für den BWZ von 6 Monaten erstelle und hinterher auf Basis der tatsächlich erzielten Einnahmen abgerechnet wird. Es ist auch normal, dass die Einnahmen nicht immer gleich hoch sind. Wer im Leistungsbezug steht, muss sich auch andere Einnahmen zurechnen lassen, sofern es als Einkommen im Sinne des SGB II / ALG II_VO zu werten ist und die entsprechenden Freibeträge nicht ausgeschöpft sind.

    Nicht als Einkommen gewertet werden z.B. Rückerstattungen der Stromanbieter, da der Strom z.B. aus dem Regelsatz finanziert werden muss bzw. wurde und der Regelsatz dem „Kunden“ nach freiem Ermessen zur Verfügung steht. Auch ist das in diesem Sinne nicht neu, die Verrechnung einmaliger Einnahmen ist bereits Bestandteil von §11 SGB II. Im Grunde beugen die Behörden hier nur einer Regelungslücke vor, weil sich wahrscheinlich immer ein paar Schlaue finden, die das rechtsmissbräuchlich ausnutzen. Auch von einem ALG II Empfänger darf man erwarten, dass er verantwortlich mit seinen Mitteln umgeht. Stichwort Selbstverantwortung.

    Was die Angemessenheit der Wohnung angeht – in der Tat lädt die jetzige Ausgestaltung auch nicht zum energiesparenden Heizen ein. Das bedeutet gar nicht mal, dass die Wohnung kalt sein muss sondern ich kenne persönlich Leute, die einfach die Fenster auf kipp lassen und die Heizung dann höher drehen. „Zahlt doch sowieso das Jobcenter“. Manch einem ist es egal, andere machen es zuweilen sogar mit einer gewissen Absicht, um das Jobcenter zu ärgern oder zu schädigen. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Leistungsempfänger in schlecht isolierte Wohnungen ziehen (oder dahin gedrängt werden) und extreme Heizkosten anfallen.

    Man muss mal abwarten, wie die Beträge ermittelt werden. Insgesamt hat der Leistungsempfänger dann aber auch mehr Spielraum. Man kann z.B. so auch von einer günstigen WG in eine eigene Wohnung ziehen, wenn das angezeigt ist. Nach dem jetzigen Modell werden nur die einmal anerkannten (niedrigsten) Unterkunftskosten weitergezahlt, selbst wenn diese sehr günstig waren. Wer z.B. 200 EUR im Monat pauschal zahlt, bekommt auch nach einem Umzug weiterhin nur 200 EUR Unterkunftskosten nach der jetzigen gesetzlichen Regelung. Da kann man mal in München nach einer Unterkunft (Appartement) suchen …

    Es gibt aber auch positive Ansätze. So soll künftig nicht mehr zwischen erstmaliger und wiederholter Pflichtverletzung unterschieden werden. Jetzt: erstmalig 30%, wiederholt 60% und mehrfach auch völlig Kürzung/Streichung.

    Oder keine Minderung der Unterkunftskosten (z.B. bei Sanktionen). Die o.g. 30% Kürzung können auch Leistungsbezieher mit wenig Einkommen (Aufstocker) treffen, z.B. wenn jemand einen 400 EUR Job hat und das Jobcenter eine Sanktion verhängt, weil jemand es unterläßt sich angemessen auf Vollzeitstellen zu bewerben. Aufgrund der Verrechnungsregeln wird zuerst das (nach Freibetrag verbleibende) Einkommen mit der Regelleistung verrechnet und dann die Kürzung von den verbleibenden Unterkunftskosten abgezogen. Das soll künftig nicht mehr möglich sein.

    Verhinderung der Aufrechnung bei Sanktionen: Wenn jemand zu Unrecht gezahlte Leistungen zurückerstatten muss resp. das Jobcenter aufrechnet, kann dies mit einer Sanktion zusammenfallen und der Betrag insgesamt deutlich stärker als 30% gemindert werden. Das soll künftig verhindert werden, eine Aufrechnung bei laufender Sanktion nicht mehr möglich sein.

    Ausschluss der Pfändbarkeit – dürfte auch nicht wenige ALG II Empfänger betreffen. Hier sind Ansprüche wie Arbeitseinkommen pfändbar, was in Einzelfällen zu Problemen führen kann insbesondere bei Nachzahlungen. Kann aber auch in Großstädten mit hohen Mieten zum Tragen kommen oder bei Selbständigen.

    Verlängerung des BWZ auf 12 Monate ist ebenfalls vorteilhaft.
    Auch findet sich in dem Arbeitskreis der Hinweis, dass eine selbständige Tätigkeit nur anzuerkennen ist, wenn diese in den letzten 3 Monaten vor Antragstellung die Existenzsicherung belegt, kein Mehrheit. Auch das ist sehr positiv und läßt dem Einzelnen mehr Freiraum. Im Übrigen sind das bis jetzt nur die Vorschläge der Arbeitsgruppe, die weder in einen konkreten Gesetzesvorschlag umgesetzt wurden, geschweige dass er mehrheitlich von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde.

    Ich würde mir manchmal etwas mehr Differenzierung und nicht zu einseitige Betrachtung wünschen.

    • Eckhard Schulze Says:

      Mein Eindruck ist, insbesondere bezogen auf die zu erwartende Neuregelung für KDU, dass Sie die prekäre, unverschuldete Situtaion vielere Leistungsbezieher nicht kennen.

      Bei den anderen Punkten, beispielsweise das Erstrecken von Sanktionen auf KDU sowie das Pfändungsthema, sind Sie anscheinend etwas blauäugig. Die letzte Neuregelung für Pfändungen ignorierte beispielsweise die Rechtslage für SGB II / XII – Leistungen; deshalb MUSSTE der Gesetzgeber jetzt reagieren. Auch durften sich die Sanktionen NIE auf KDU erstrecken, bereits aus Übermaßgründen bzw. der unzulässigen SIPPENHAFT bei Sanktionen, die sich gegen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft richteten. Auch deshalb hatte der Vorstand der BA für Arbeit bereits vor Monaten reagiert und angewiesen, dass sich Sanktionen, anders als im Gesetz „rechtswidrig“ kodifiziert, NICHT auf KDU erstrücken dürfen. Hier folgt der Gesetzgeber der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

      Anscheinend haben auch Sie übersehen, dass die Sanktionen mit mehr als 50 % vor Gericht keinen Bestand haben. Die Zahl dürfte unter Berücksichtigung der „Einstellung“ von Verfahren zu Gunsten des Leistungsberechtigten nach SGB II / XII noch höher sein.

      Aber damit will ich es bewenden lassen.

      • Karl Says:

        Es ist eine falsche Annahme, dass ich die Situation vieler Leistungsbezieher nicht kennen würde. Ich war selbst einige Zeit im vollen und stehe aktuell auch noch in teilweisem Leistungsbezug. Insofern habe ich Erfahrungen mit dem Jobcenter im Rahmen des SGB II seit über 4 Jahren.

        Das Sozialrecht ist im Übrigen nicht an die Ursachen der Situation gekoppelt, daher spielt es aus Leistungssicht überhaupt keine Rolle, ob hier Eigen- oder Fremdverschulden vorliegt von krassem vorsätzlichem Eigenverschulden mal abgesehen. Überhaupt spielt die Beurteilung weder eine große Rolle noch ist es hilfreich für die Betroffenen. Es ist halt wie es ist.

        Es gibt viele Situationen, wie man in den Leistungsbezug rutschen kann. Tatsache ist, dass Deutschland eines der besten und umfangreichsten Sozialsysteme der Welt hat, da sieht es in anderen Kulturen ganz anders aus. Selbst innerhalb der EU, in Griechenland z.B. erhalten Sozialfälle für maximal 2 Jahre Arbeitslosigkeit Krankenbehandlung, danach ist Schluss bzw. muss man selbst schauen was man im Krankheitsfalle macht. Die Selbstmordrate in solchen Ländern steigt.

        Und natürlich ist Eigenverantwortung gefragt, man kann nicht einfach in Lethargie verfallen. Wer dazu nicht willens oder in der Lage ist, bekommt ggf. auch ungefragte Unterstützung vom Jobcenter. Auch das ist im Grunde in Ordnung. Wenn ich so einen Schwachsinn wie bedingungsloses Grundeinkommen höre (geistig kann ich mir vorstellen wie Sie bei dem Thema Beifall klatschen) dann haben offenbar manche Vorstellungen wie im Paradies. So kann es halt nicht funktionieren: Miteinander ist okay – auf dem Rücken der anderen einfach nur nichts tun ist aus meiner Sicht nicht mehr sozial und dann kann man auch keine Gegenleistung anderer erwarten.

        Man kann mit den Mitteln im Vergleich zu anderen Ländern durchaus ein menschenwürdiges Leben bestreiten. Freilich kein Luxus. Aber man hat genügeng zu Essen und zu Trinken und ein Dach über dem Kopf – wenn man es denn will. Und wenn man ihn braucht auch einen Arzt. Allerdings geht die Rechnung nicht mehr auf, wenn man irgendwelche Süchte bedienen muss, sei es Alkohol oder gar Drogen, Zigaretten, Spielsüchte und Ähnliches.

        Um auf ein menschenwürdiges Leben zurückzukommen, der Staat kann nur die Rahmenbedingungen schaffen. Mit Sinn erfüllen muss es jeder selbst – das gilt genauso wie für die Menschen die keine Leistungen beziehen. Das muss jeder Mensch selbst hinbekommen, das Leben wurde ihm geschenkt und was er damit macht liegt in seiner eigenen Verantwortung. Womit wir wieder beim Thema wären, Eigenverantwortung.

        Wenn ich mir z.B. die Ergüsse im Erwerbslosenforum von Martin Behrsing anschaue (was ich zum Glück seit Langem aufgegeben habe) dann sehe ich da lauter Menschen die sich in einer selbst gewählten Realität einrichten die jenseits von Gut und Böse ist. Mit den meisten möchte ich im Leben nicht gemeinsam an einem Frühstückstisch sitzen, gemessen an dem was sie in dem Forum von sich geben. Und mit Realität meine ich die geistige Welt in der ein Mensch lebt, nicht falsch verstehen. Und diese Welt schafft sich jeder selbst, man kann seinen Focus auf gückliche oder unglückliche Seiten des Lebens lenken.

        Eigenverantwortung. Da ist sie wieder. Also mal nicht so viele Nachrichten schauen (sind fast nur negativ), lieber mal ein Buch lesen, Spazieren gehen und mit offenen Augen durchs Leben gehen. Ist sinnvoller als in den üblichen Jammerchor einzustimmen. In dem Sie aus meiner Sicht übrigens kräftig mitsingen in Ihrem Blog, nicht nur zu diesem sondern auch vielen anderen Themen.

        Gesund ist das auf Dauer nicht, Herr Schulze.

  2. Eckhard Schulze Says:

    @Karl
    Mit dem Begriff „üblichen Jammerchor“ kann ich wenig anfangen. Ich bewerte vornehmlich nachvollziehbare, wahre Fakten/Tatsachen in Wirtschaft und Gesellschaft. Mir ist allerdings klar, dass es kaum schmerzvolleres in Diskussionen gibt, als unumstößliche Wahrheiten/Fakten, vor allem auch dann, wenn die weiteren Zusammenhänge aufgedeckt werden und die Mainstream-Propaganda ad absurdum geführt wird.

    Wir erleben seit der „geistig-moralischen Wende“ des Bimbes-Kohl zunehmende Gier- und Abzockermentalität bei gleichzeitigem Zurückdrängen angemessen bezahlter Arbeit im Zeitablauf.

    Die Politik hat zu Lasten der Arbeitnehmer die Arbeitnehmerrechte und deren Schutz im sog. „Arbeitsmarkt“ ausgehöhlt, so dass der Anstieg prekär beschäftigter Bürger zu unübersehbaren Ungleichgewichten in der Einkommensverteilung geführt hat. Das bestreiten selbst neoliberale Ökonomen nicht.

    Unübersehbar ist auch, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Durchsetzung der millonenfachen prekären Arbeitsverhältnisse in „Davos“ (Weltwirtschaftsforum) als Errungenschaft feierte und mit der „Hartz-IV-Gesetzgebung“ im Sinne der raffiniert verschleierten „Sklaven-Arbeit“, aufrechterhalten durch Sanktionen und andere Zwangsmaßnahmen, feudale Gesellschaftsstrukturen wieder eingeführt wurden. Gleichzeitig reduzierte sich der sog. Mittelstand nicht unerheblich; die Angst davor, mit dem Stigma des „Sozialschmarotzers“ belegt zu werden führte dazu, dass beinahe jedwede Gehaltskürzung in Kauf genommen wurde.

    Dass diese absurde Politik auch die Wettbewerbsfähigkeit anderern EU(RO)-Staaten beeinträchtigt hatte, wird auch heute niemand mehr ernsthaft bestreiten wollen.

    Tatsache ist, dass die Leistungsberechtigten nach SGB II / XII nicht selten „menschenunwürdig“ behandelt werden. Das hat natürlich unterschiedliche Ursachen, bis hin zu mangelnder Ausbildung der Sachbearbeiter.

    Die Politik, als Bundestag und Bundesrat, missachten ohne Skrupel die Rechtsfortschreibung des BVerfG. Es ist hinlänglich nachgewiesen, dass beispielsweise der „Regelsatz“ bewusst und vorsätzlich falsch berechnet wurde, schlicht um Haushaltsmittel einzusparen. Ein Skandal.

    Gleichzeitig hatte der Gesetzgeber die „rückwirkende Korrektur“ rechtsfehlerhafter Bescheide bzw. bei Urteilen des BSG und des BVerfG auf max. 2 Jahre beschränkt, sofern nicht die Betroffenen Kläger waren bzw. sich Verfahren angeschlossen hatten.

    Mit der begrenzten Rückwirkung hat sich der Gesetzgeber sozusagen ein „kriminelles“ Sparinstrument geschaffen, indem er, wie oben angedeutet, die Rechtsfortschreibung des BVerfG missachtet und damit rechnen darf, dass eine Korrektur über Rechtszüge mindestens 4 Jahre andauern und in der Zwischenzeit den Betroffenen Leistungen vorenthalten werden können.

    Das ist die deutsche Realität, die in trauter Einigkeit von den Alt-Parteien praktiziert wird.

    Mit anderen Worten: Den Betroffenen wird das angemessene Existenzminimum seit Jahren verweigert, und zwar mit der skizzierten „kriminellen Energie“.

    Das sollte deutlich machen, dass die Umschreibung mit „Jammerchor“ aus meiner Sicht wenig angebracht ist.

    Wenn selbst Wissenschaftler mit Prädikatsabschlüssen heutzutage noch nicht einmal mit einer Festanstellung rechnen dürfen, dann wird deutlich, dass die Gier- und Abzockermentalität zahlenmäßig weniger (Geld-) Eliten dazu geführt hat, dass Leistung und Engagement sich nicht mehr lohnen, ja noch nicht einmal dazu führen, dass davon eine Familie ernährt werden kann. Keine guten Aussichten für die Entwicklung und Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft. In Griechenland, Spanien und Frankreich können insbesondere die jungen gut ausgebildeten Bürger ein Lied davon singen.

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